Ursula Krechels neuer Roman »Sehr geehrte Frau Ministerin«
Mutter ist die beste

Ursula Krechel, Foto: Heike Steinweg
Mütter und Söhne sind in der Literatur ein weit verbreiteter Topos, und sehr oft sind es die Söhne, die von ihren Müttern erzählen. Einer von ihnen ist Karl-Heinz Ott, in seinem vielgelobten Debütroman »Ins Offene« geht es um einen Sohn, den eine scheinbar unauflösbare Hassliebe mit seiner Mutter verbindet. Erst als die Mutter auf dem Totenbett liegt, setzt eine behutsame Annäherung ein. Bei dem römischen Kaiser Nero war das genau umgekehrt: Während er seine Mutter Agrippina, wie es zum Auftakt von Ursula Krechels Roman heißt, in seiner ersten Thronrede noch als »optima mater« (beste aller Mütter) feierte, ließ er sie später ermorden und ihren Geburtstag zum Unglückstag erklären.
Doch Agrippina ist nur eine der Mütter, von denen Ursula Krechel erzählt. Durch einen antiquierten Kostümfilm erfährt Eva Patarak, Mitarbeiterin in einem kleinen Kräuterimperium, von der Mutter aus der Antike. Ihr eigener Sohn ist inzwischen einen Kopf größer als sie selbst und hält es fast für ein Staatsverbrechen, mit seiner Mutter auch nur sprechen zu müssen. Er thront in seinem »Jugendzimmer« und ist längst »zu alt für Aufforderungen«. Dann ist da aber auch noch die Lateinlehrerin Silke Aschauer, die Eva und ihren Sohn offenbar ausspioniert. Bieten ihr die grausamen Familienverhältnisse der Antike, die sie für den Unterricht aufbereitet, nicht schon genug Stoff? Fest steht nur: Auch Silke hält längst nicht alle Fäden in der Hand. In ihrer Ohnmacht wenden sich die beiden Frauen an die Justizministerin – ohne zu ahnen, in welche Gefahr sie die »Sehr geehrte Frau Ministerin« damit bringen.
Ursula Krechel hat mit ihrem hoch politischen und stilistisch herausragenden Roman eine Kulturgeschichte der Frauen vorgelegt – und eine Geschichte ihres Widerstands gegen die Gewalt, die ihnen zugemutet wird.
Ursula Krechelh, »Sehr geehrte Frau Ministerin«, Klett-Cotta, € 26,–
28.01.2025 | Jürgen Abel