Wolf Haas´neuer Roman »Müll«

Knie in Wanne 4

Wolf Haas
Wolf Haas, Foto: Gerry Nitsch
Mit dem schönen Märchen von einer Prinzessin beginnt der neue Roman von Wolf Haas. Ein Vater tischt es seiner vierjährigen Tochter auf, weil er ihr die furchtbare Geschichte nicht erzählen kann, wegen der in einer Bucht so viele abgeschliffene Glasscherben in allen Farben angeschwemmt werden. Also sind es Perlen und am Seegrund lebt eine Prinzessin, deren Perlenschatulle überquillt vor lauter Reichtum. Sanft stimmt Wolf Haas damit die Motive und die Tonlage seines neuen Romans auf einer halben Seite an. Die Auflösung gibt es erst ganz zum Schluss. Und dazwischen eine so rasante wie komische Geschichte, deren Kulminationspunkt knallgelb auf dem Cover des Romans steht: »Müll« (Hoffmann und Campe).

Mit »Junger Mann« (2018), einem wunderbar schrägen Coming-of-Age-Roman und einer großen »Verteidigung der Missionarsstellung« (2012), die von einem aussichtslosen Kampf gegen die Liebe erzählt, hat er längst bewiesen, dass er auch anders kann. Doch bekannt wurde Wolf Haas mit seinen Brenner-Krimis. Sie gehören zum Besten, was das Genre in der deutschsprachigen Literatur in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. Schon zum Auftakt der Reihe mit »Auferstehung der Toten« (1996) wurde der Ermittler Simon Brenner zur Kultfigur. Seine Markenzeichen: Junggeselle, dicklich, klein, Kantschädel mit roter Nase und wasserblauen Augen. Die Fälle selbst, in die dieser Brenner gerät, sind ziemlich verrückt, aber zum Ereignis werden sie durch das mit intertextuellen Bezügen gespickte Erzählkonstrukt, das von Sätzen getragen wird, die häufig ohne Verb auskommen.

Loswerden will Haas seinen Ermittler schon 2003 mit dem sechsten Band der Folge »Das ewige Leben«. Brenner überlebt den rasanten Showdown zwar, doch der unbekannte Ich-Erzähler an seiner Seite wird erschossen. Und taucht mit einer furiosen Begründung im siebten Band »Der Brenner und der liebe Gott« (2009) doch wieder auf. Während die bisherigen Krimis stets mit der Phrase »Jetzt ist schon wieder was passiert« eröffnen, heißt es jetzt: »Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen.« Der Ich-Erzähler lebt seit diesem Roman folglich als »Maul« weiter und kann uns den Ex-Polizisten, Ex-Detektiv und Ex-Chauffeur Simon Brenner in der jetzt neunten Folge der Krimis in seiner wahren Berufung als »Mistler« vorstellen. So heißen in Wien die Mitarbeiter »am Mistplatz«, also auf dem Recyclinghof, wo zum Auftakt des Romans »ein Hintereinander und ein Nebeneinander« herrscht, aber kein »Durcheinander«. Da gibt es durchnummerierte Wannen für alle Recyclingabfälle, ganz wie sich das in einer Stadt gehört, die über die »beste Mistplatzordnung auf der ganzen Welt« verfügt. Doch dann findet der Udo in Wanne 4 ein menschliches Knie und »dem Novak lacht im Elektroschrott der Kopf entgegen«.

Die Mistler sammeln daraufhin so schnell weitere Leichenteile ein, dass der eilends angereisten Kripo und Spurensicherung kaum noch etwas zu tun bleibt. Sogar für das Motiv haben die Mistler einen Spezialisten, den Simon Brenner, der seinen erstaunten Ex-Kollegen eilends erklärt, dass es sich hier wohl um eine Beziehungstat handeln muss. Alles deutet darauf hin, dass er damit richtig liegt, denn es fehlt nur ein Teil der Leiche: das Herz. Wer jetzt denkt, die Handlung würde sich nach diesem Auftakt gemütlich als Aufklärungsdrama abspulen, sei vor der maximal wendungsreichen Dramaturgie eines Wolf Haas gewarnt und vor einem Satz, mit dem eine Transportfirma in diesem Roman in großen roten Buchstaben für sich wirbt, er trifft auf jeden Brenner-Krimi zu: »Wir sind Legende«.

Wolf Haas stellt sein Buch im Stadtpark vor: Stadtpark Open Air, Saarlandstr. 71, 20.00 Uhr, € 14,– bis 36,50

Wolf Haas, »Müll«, Hoffmann und Campe, € 24,–


27.05.2022 | Jürgen Abel