Donnerstag 26.02.2015


Lesung mit Sibylle Berg

„Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“

Sibylle Berg
Sibylle Berg, Foto: Katharina Luetscher
Bei Sibylle Berg weiß man ja irgendwie schon, was man kriegt, wenn ein neues Buch von ihr erscheint. Das liegt daran, dass halt „jeder so sein Zeug“ hat, „was ihn antreibt“, wie sie selbst meint. Bei ihr schwärmt die Literaturkritik gern von „methodischem Pessimismus“ (NZZ) und einem Gipfel an „Nihilismus und Weltverneinung“ („taz“). Ganz so schlimm ist es zwar nicht, aber mindestens so schlimm wie das Leben im Allgemeinen, das uns im Besonderen auf der Suche nach Sinn, nach Glück und Liebe unbedingt enttäuscht oder eben umgekehrt, aus dem puren Grauen in eine schöne und langweilige Idylle entlässt. Von diesem desillusionierenden Mechanismus erzählt Sibylle Berg in Romanen, Erzählbänden, in ihren Glossen und Theaterstücken und das so schamlos und radikal, dass ihre Unbedingtheit gelegentlich auch mal etwas angestrengt wirkt.

Für ihren neuen Roman „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“ verspricht der Hanser Verlag „Wirklich alles, was Sie schon immer über Sex wissen wollten“ und ja, Sex, vielleicht besser gesagt: Körperlichkeit in all seinen Facetten ist in diesem Roman eine zentrales Motiv. In einer Sammlung kurzer, melancholischer Etüden über die Liebe darf, vielleicht sogar muss das ja auch ganz genau so sein, wollte man nicht Wesentliches aussparen. Sibylle Berg lässt abwechselnd Chloe und Rasmus, später auch einmal den Liebhaber Benny, in den nicht mehr als zwei oder drei Seiten umfassenden Episoden zu Wort kommen.
In einem Steckbrief würde man die Lebenskoordinaten des Paares so zusammenfassen: Seit über 20 Jahren verheiratet, keine Kinder, gutsituiert, obwohl die ganz großen Erfolge ausgeblieben sind, nachdem es bei Rasmus, einem Theaterregisseur, immerhin hoffnungsvolle Anfänge gab. Inzwischen ist das Leben jedoch so alltäglich und langweilig beständig, dass es einen schon gefährlichen Übermut provoziert. Rasmus will es nämlich nochmal wissen: Eine neue Welt erobern, weit weg von zu Hause, zeigen, was er kann und das ausgerechnet in einem „Billigurlaubsgebiet“, wo ein neues Theater entstehen soll. Chloe ist an seiner Seite. Schließlich hat sie ihn gern, manchmal weint sie sogar aus bloßer Sorge um ihren Rasmus. Nur, leidenschaftlich war ihre Beziehung halt nie.
Chloe masturbiert jeden Tag unter der Dusche und hofft ansonsten darauf, dem „biologischen Ruf der Geschlechtsorgane keine Folge“ leisten zu müssen, jedenfalls nicht mit Rasmus. Obwohl sie „theoretisch gerne fickt“. Bei Rasmus verhält es sich ganz ähnlich. Er sagt, mit Chloe habe er sich eben „gegen Sex und für die Liebe“ entschieden. Man muss ergänzen, dass es sich hier um ein Konzept der Liebe handelt, das Sibylle Berg seit Jahren propagiert: „Der Glücksumstand ist nur, dass sich zwei Menschen finden, die auf dem gleichen Erkenntnisstand sind. Das ist das große Spiel.“ Letztlich kann es dann eben auch "Kalli sein", mit dem sich die existentielle Einsamkeit am besten überwinden lässt. Die Konsequenz aus diesem so prosaischen wie realistischen Liebeskonzept ist für Chloe und Rasmus: „Heute haben wir Sex, wenn ich morgens hart bin, weil die Blase auf meine Prostata drückt“.
In dieser Phase zwar innigen, aber gänzlich leidenschaftslosen Zugewandtseins erlebt Chloe dann fast absichtslos großartigen Sex mit dem Masseur Benny, und plötzlich ist „irgendetwas kaputt“. Sie verlässt das gemeinsame Hotelzimmer, Rasmus bleibt allein zurück. Es folgt eine wahrlich rauschhafte Liebesgeschichte, die in einer schonungslosen Ménage à Trois gipfelt.

Und wie geht das aus? Nicht gut, wie immer bei Frau Berg, für den Liebhaber Benny sogar böse, während Chloe ihren Frieden findet: „Ich mache mir einen Tee, lege Klaviermusik auf, Goldberg-Variationen, passend zu diesem Tag, der harmlos, freundlich und ruhig ist, ich hoffe, dass alles jetzt so weitergehen wird.“

Sibylle Berg liest zusammen mit Christian Ulmen aus „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“, dazu spielt die Elektro-Band Kreidler.

Veranstalter: Kampnagel. Jarrestraße 20, 20.00 Uhr. Eintritt: 19





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