Mittwoch 02.11.2016


Lesung mit Carolin Emcke

Plädoyer für das Unreine

Carolin Emcke
Carolin Emcke, Foto: Andreas Labes
Das große Publikum in Deutschland kennt Carolin Emcke aus einer Kolumne, die in der Wochenendausgabe der „Süd-deutschen Zeitung“ erscheint. Unter dem Titel von meist nur einem Wort wie „Übersetzen“, „Macht“, „Heimat“, „Anfangen“ oder auch „Radiohören“ schreibt sie über alles, was gerade die Welt bewegt, über Krisenschauplätze, Politik, Gesellschaft und ganz Alltägliches. Mit ihrem neuen Buch wendet sich die im Oktober mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete Kriegsreporterin, Publizistin und Philosophin nun „Gegen den Hass“ (S. Fischer Verlag) und die zunehmende Polarisierung der Öffentlichkeit in Deutschland.

„Es gab in den letzten Jahren“, schreibt Emcke im Vorwort zu ihrem Buch, „ein zunehmend artikuliertes Unbehagen, ob es nicht doch langsam etwas zu viel sei mit der Toleranz, ob diejenigen, die anders glauben, anders aussehen oder anders lieben, nicht lang-sam auch mal zufrieden sein könnten.“ Ganz so, als gäbe es eine Art „Obergrenze für Gleichberechtigung“, als hätte man jetzt, ob für Frauen oder Schwule, langsam genug getan, genug Toleranz gegenüber Anderen aufgebracht. Gleichzeitig wird, ob bei Demonstrationen oder in sozialen Netzwerken, „offen und hemmungslos gehasst“. Ein Phänomen, das es in der Bundesrepublik so bisher noch nicht gab, wie Emcke feststellt. Und sie will „die neue Lust am ungehemmten Hassen nicht normalisiert sehen“, weder hier noch in Europa oder anderswo. In einer Kolumne hat sie gegen den zunehmenden Fanatismus unter dem Titel „Singular“ für „das abweichende Individuelle, das einzig-artige, zarte Subjektive“ plädiert, „nicht zuletzt, weil es das ist, was dem terroristischen Wahn am meisten wider-spricht“. In ihrem Buch begegnet sie dem Hass und Fanatismus vor allem mit einem „Lob des Unreinen“. In der Behauptung der eigenen „Reinheit“ gegenüber den „Anderen“, sieht sie den Nährboden sowohl des ideologischen Programms des IS als auch jenen für die Fanatisierung der westlichen Gesellschaften, in denen der Ruf nach einer ursprünglichen, einer natürlichen Ordnung und Tradition, einer angeblich früher einmal „reinen“ Gesellschaft immer größer wird. Die Argumente werden schon lange propagiert, zum Beispiel von Dr. Nicolaus Fest, der vor Jahren in der BILD „über Migration und Multi-Kulti“ schrieb: „Nach-dem vor nicht einmal 80 Jahren ganze Völkerschaften der inneren Stabilität Europas geopfert wurden, scheinen die Vorteile homogener Gesellschaften inzwischen fast vergessen.“ Durch „mimetische Anpassung“ lassen sich solche Vorstellungen des Reinen und Schlichten, die tatsächlich nie kennzeichnend für Europa waren, nicht bekämpfen. Carolin Emcke setzt ein „Plädoyer für das Unreine und Differenzierte“ dagegen und die Forderung nach Empathie, auch wenn sie manchmal schwerfällt.

Carolin Emcke liest aus ihrem neuen Buch „Gegen den Hass“. Ein Gespräch mit der Publizistin und Journalistin führt Nils Minkmar.

Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39, 20.00 Uhr, 15.-/9.- Euro.





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