Dienstag 14.09.2021


Eröffnung

Die Krise als Programm beim Harbour Front Literaturfestival

Luisa Neubauer und Bernd Ulrich
Luisa Neubauer, eine der Hauptaktivist:innen von Fridays for Future, hat sich mit Bernd Ulrich, Vize-Chefredakteur der ZEIT, Foto: Axel Martens
Es ist so akzentuiert wie prominent besetzt: Zu Gast beim 13. Harbour Front Literaturfestival sind vom 9. September bis zum 24. Oktober nationale und internationale Stars wie Richard Ford, Peter Buwalda, Ferdinand von Schirach, Alice Schwarzer, Sven Regener oder Carolin Emcke. Schwerpunkte bilden »Harbour Front Sounds«, eine Reihe mit Veranstaltungen, die Literatur und Musik kombinieren, und die neue Reihe »Harbour Front Future«, bei der die Krisen der Gegenwart thematisiert werden. Im Fokus stehen Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Klimawandel. Gleich zum Festivalauftakt mit Frank Schätzing geht es um die Klimakrise. Doch auch Eckart von Hirschhausen (11.09.), Mojib Latif (13.09.), Luisa Neubauer und Bernd Ulrich (14.09.) sind der Katastrophe auf der Spur.

Für Jonathan Franzen ist die Sache völlig klar: »Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?« Das ist die rhetorische Frage, mit der sein im letzten Jahr bei Rowohlt erschienener Essay überschrieben ist. Im Untertitel fordert der weltberühmte Schriftsteller, der sich seit vielen Jahren mit Umweltthemen beschäftigt: »Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können.« Gleichzeitig fordert er größere Anstrengungen beim Naturschutz und bei der Vorbereitung auf Brände, Überschwemmungen, Flüchtlingsströme. Bis vor kurzem konnte man das noch als radikal realistisch und wahlweise als Einladung zum Weiterwursteln sehen.
Frank Schätzing geht die Sache dagegen radikal optimistisch an: »Was, wenn wir einfach die Welt retten?« lautet die rhetorische Frage, mit der er auf dem Cover seines Bestsellers zum »Handeln in der Klimakrise« (Kiepenheuer & Witsch) auffordert. Dass er komplexe Themen für das ganz große Publikum aufbereiten kann, hat Schätzing mehrfach bewiesen, und gelungen ist ihm das auch hier. Er hat den Stoff klug in eine Chronologie der Ereignisse gebracht: Von den Beweisen für den »menschengemachten Klimawandel« über einen Thriller in sieben Staffeln, der die Auswirkungen des Klimawandels bis ins Jahr 2100 beschreibt, gelangt man in die Niederungen der Politik der Gegenwart und landet endlich – bestens unterhalten – bei der »göttlichen Seherin« Ida in einem Paralleluniversum, in dem die Utopie einer klimaneutralen Welt Realität ist.
Eine große Lust an Ideen, aber auch am Aufbruch ist der Motor dieses Buches, und auf andere Weise trifft das auch auf den opulenten Wälzer »Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben« (dtv) zu. Eckart von Hirschhausen hat sein Buch mit dem Versprechen geschmückt, dass es »3 Krisen zum Preis von 2!« verhandelt, eine große Portion Hoffnung hat er trotz der drei Krisen und fordert gleich zum Auftakt »mehr Mut zum Spinnen und Träumen, zum Staunen und Lachen«. Gut gelaunt fächert der Kabarettist, Autor und Mediziner in pointierten Texten das gesamte Themenspektrum des Umwelt- und Klimaschutzes auf und ist dabei stets dem besseren, dem gesünderen Leben auf der Spur. Das macht schon Spaß, bietet aber nicht unbedingt Orientierung bei der Frage, worauf es gerade wirklich ankommt.
Schnörkellos informativ und kompakt ist dafür die Darstellung des Klimwandels in »Heißzeit« (Herder) von Mojib Latif. Der prominente Klimaforscher, Hochschullehrer und Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome erklärt auf nur etwa 200 Seiten die Ursachen und Folgen des Klimwandels, widerlegt die Argumente von Klimaleugnern und widmet sich daraufhin der Frage, wie mehrere Jahrzehnte tatenlos verstreichen konnten, ohne dass Politik und Gesellschaft auf die zunehmend dramatischeren Warnungen aus der Wissenschaft reagierten. Der CO2-Ausstoß weltweit steigt bis heute Jahr für Jahr an, seit 1990 um 60 Prozent. Es sei vermutlich nur dem Druck der Fridays for Future-Bewegung zu danken, merkt Latif an, dass es in der letzten Legislaturperiode wenigstens einen faden Kompromiss für den Kohleausstieg bis 2038 gab und im Eiltempo ein noch viel zu wenig ambitioniertes Klimaschutzgesetz verabschiedet wurde.
Damit empfiehlt sich abschließend hier ein Buch, das tief in die deutsche Politik der Gegenwart führt, die Akteure, ihre Aufgaben und Versäumnisse benennt und doch sehr positiv schon im Titel feststellt: »Noch haben wir die Wahl« (Klett-Cotta). Luisa Neubauer, eine der Hauptaktivist:innen von Fridays for Future, hat sich mit Bernd Ulrich, Vize-Chefredakteur der ZEIT, zum Gespräch über »Freiheit, Ökologie und den Konflikt der Generationen« getroffen. Ökologie ist in ihren Gesprächen stets der Ankerpunkt, ob es um die Rolle der Medien geht, die Zeit nach Merkel, ökologische Moral, Geopolitik – oder die Bundestagswahlen in diesem Monat.
Ganz beiläufig zeigt Lisa Neubauer hier auch dem eingangs erwähnten Jonathan Franzen, dass Nüchternheit in der Sache vielleicht doch nicht ganz der richtige Weg ist. So zornig und kämpferisch wie sie dazu auffordert, die Ökologie endlich ins Zentrum der Zukunftsfragen zu rücken, will man unbedingt glauben, dass in Deutschland vielleicht doch einmal wieder große Reformen möglich sein könnten: Noch haben wir die Wahl!

Elbphilharmonie, Kleiner Saal, Platz der Deutschen Einheit 1, 18.00 Uhr, € 25,–, harbourfront-hamburg.com





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