Donnerstag, 28.04.2016


Buchpremiere

Sprache, Mut und Zauberei mit Saša Stanišic

David Grossman
Saša Stanišic, Foto: Katja Sämann
Von Europa und den Flüchtlingsströmen, von Krieg und Vertreibung, von all den Durchreisenden und dem Durcheinander in einer haltlosen Zeit erzählt Saša Stanišic in seinem neuen Erzählband „Fallensteller“. Doch zum Ereignis werden seine Geschichten nicht durch die Brüche der großen Geschichte, von denen sie eher beiläufig und in den Provinzen, von den Rändern des Weltgeschehens her erzählen, sondern durch ihre grandiose sprachliche Mikroökonomie und ihr subtiles Spiel mit Realität, Täuschung und Illusion. Ach ja – und wer sagt eigentlich, dass ernste Bücher nicht auch sehr unterhaltend sein können?

Saša Stanišic, der 1978 in Višegrad, einer Kleinstadt im östlichen Bosnien geboren wurde und 1992 mit seinen Eltern nach Deutschland geflohen ist, wurde schon mit seinem in 31 Sprachen übersetzten Debütroman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ (2006) als Ausnahmetalent der jungen Literatur in Deutschland gefeiert und vielfach ausgezeichnet. Er hat sich daraufhin mehrere Jahre Zeit für eine Art ethnologische Tiefenbohrung in Fürstenwerder genommen, einem Dorf in der Uckermark. Bei seinem 2014 erschienenen Roman „Vor dem Fest“ war dann von Talent nicht mehr die Rede, sondern von „Weltliteratur“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung). Der unisono gefeierte Bestseller erzählt mit viel Sympathie für die Dörfler und einer großen Portion Humor in Geschichten, Legenden und Fabeln die Chronik eines prototypischen Dorfes im deutschen Osten. In Fürstenwerder gibt es dank des „Jugo-Schriftstellers“ einen regelrechten Literaturtourismus. Doch der ändert auch nichts daran, dass in Fürstenfelde, so heißt das literarische Pendant von Fürstenwerder,,die Menschen in den letzten Jahren weniger und die Tiere mehr geworden sind.
Das ist die Ausgangssituation von „Fallensteller“, der titelgebenden Erzählung des neuen Bandes, mit dem Stanišic noch einmal nach Fürstenfelde zurückkehrt, wo Lada seinen Golf „zum vierten Mal binnen zwei Jahren im Tiefen See“ parkt. Für sich genommen wäre das nichts besonderes, würde nicht gleichzeitig ein seltsamer Vogel auftauchen, ein „Fallensteller“, der sich ziemlich gestelzt ausdrückt, prompt eine Ratte in Ullis Garage einfängt und schlagartig berühmt wird. Einige Wochen später ist dann ganz Fürstenfelde auf die Einflüsterungen dieses Rattenfängers reingefallen, mit bösen Folgen: „Die betrügen wollten, fanden sich betrogen. Die Misstrauischen wurden zu ihrem Nachteil belogen. Die Überlebenden vorgeführt. Und Förster Fritz sechs Tage lang entführt.“ Man trennt sich, wie so oft in der Provinz, fast einvernehmlich, der „Fallensteller“ macht sich wieder auf die Reise, und Lada fährt nach Hamburg, wo er, zum Schriftsteller gereift, bei einer Preisverleihung von einem Wanderer erzählt, in dessen „Gepäck“ sich „Sprache, Mut und Zauberei“ befinden.
Dieser Wanderer durchstreift im Verborgenen alle Erzählungen von „Fallensteller“, ob sie von „christlichen Menschenrechtsaktivisten“ erzählen, die ein „Rheinfest“ feiern, von Freddie und seiner „großen Illusion“, von einem Pizzaalbaner und seiner Machete, der Opfer einer Erpressung wird und dabei den syrischen Surrealismus kennenlernt, von einer Fabrik auf dem Balkan, mit der sich die Europäische Union verspekuliert, von Rebecca, von Kosovaren, von der Ornithologin Elfriede Jelinek, von all den Vögeln, die ständig durch diese Geschichten flitzen: Sperlinge, Turteltauben, Kanarienvögel, Rabenvögel. Sie sind Durchreisende, so wie die Flüchtlinge, für die im Norden Norwegens ein florierender Handel mit Fahrrädern stattfindet, damit sie unbehelligt über die russische Grenze nach Europa radeln können. Es ist ein Bild, das unvermittelt auftaucht und befremdet, so als wäre es nicht aus dieser Welt, man kann nur darüber staunen und mit Saša Stanišic, dem stets der Schalk im Nacken sitzt, sogar darüber lachen. Dieses Erstaunen, dieses aufrichtige, vorurteilfreie und beherzte Hinsehen, begreifen und erfahren wollen, das sich da mitteilt, ist es, was die Literatur Saša Stanišics antreibt und so einmalig macht.
Eigentlich müsste hier jetzt ein Zitat stehen, schon um zu zeigen, wie diese Erzählungen in nur wenigen Sätzen ein großes Welttheater anzetteln. Doch für Häppchen gibt es ja eine, nein sogar zwei Lesungen in diesem April. Wer Stanišic und das sympathisch rollende R, das ihm aus seiner Kindheit geblieben ist, erleben will, hat Glück und muss einfach nur hingehen und zuhören. „Heimat ist“, sage ich (…), „wo man sich nichts vornehmen muss“, heißt es in einer der Erzählungen. Für diesen Abend gilt die dringende Empfehlung: Nimm dir vor Saša Stanišic zu hören!

Saša Stanišic stellt seinen neuen Erzählband in einer Doppelpremiere bei cohen + dobernigg und in der Buchhandlung Lüders (29.4.)vor.

cohen+dobernigg Buchhandel, Sternstraße 4, 21.00 Uhr, 8.- Euro.


Lesung mit Matthias Politycki

„Bleib sitzen und schau. Das meiste versäumst du sowieso“

Matthias Politycki
Matthias Politycki, Foto: Mathias Bothor
Als „Writer in residence“ hat er zum 25-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und Osaka fünf Wochen lang in Osaka gelebt und dort dann vor allem Gedichte geschrieben. Gelaufen ist er natürlich auch, so wie immer. Im letzten Jahr auch den Osaka-Marathon. Doch das ist lange her. Wenn er bei Jokers aus seinem Roman „Samarkand, Samarkand“, seinem Marathonbuch „42,195“ und seinem neuen Gedichtband „Dies irre Geglitzer in deinem Blick“ lesen wird, ist er gerade aus Indien zurück – eine Recherchereise für sein neues Buch.

Als Weltreisender unter den deutschen Schriftstellern gilt Matthias Politycki schon lange, dass er auch Marathonläufer ist, hat er im letzten Jahr mit einem Buch publik gemacht, mit dem er die Marathon-Laufstrecke Kilometer für Kilometer schreibend durchgetaktet hat. Doch eigentlich ist der Romancier, Erzähler und Reiseschriftsteller vor allem Lyriker. Zehn Gedichtbände hat er inzwischen veröffentlicht, zuletzt „Dies irre Geglitzer in deinem Blick“ (Hoffmann und Campe), mit dem er einmal mehr die Tresenhocker und Dauergrantler zusammenruft, Mann, Ehefrau und Geliebte sind natürlich auch dabei. Genau wie Freund Hein und andere Gefährten. „Bleib sitzen und schau,“ heißt es in einem seiner Gedichte: „Das meiste versäumst du sowieso“. Wenn einer das sagt, der so umtriebig ist wie Matthias Politycki, wird wohl was dran sein. Seine Lesung bei Jokers sollte man trotzdem auf keinen Fall verpassen.

Matthias Politycki liest bei Jokers aus seinem Roman „Samarkand, Samarkand“, seinem Marathonbuch „42,195 – Warum wir laufen und was wir dabei denken“ und seinen neuen Gedichtbänden „Dies irre Geglitzer in deinem Blick. 111 Gedichte“ und „Ägyptische Plagen. Gebirg und Wüste Sinai“.

Buchhandlung Jokers, Grindelallee 42, 19.30 Uhr, 8.- Euro.


Lesung

„Deutschland. Ein Wandermärchen“

Anna Magdalena Bössen liest aus ihrem neuen Buch.

„Südlese“ in der Buchhandlung am Sand, Hölertwiete 5, Harburg, 18.00 Uhr, 8.- Euro.


Buchpräsentation

„Eine Arche ist eine Arche ist eine Arche“

Elisabeth Raabe und Regina Vitali stellen ihr Buch über ihr Leben als Verlegerinnen des legendären Arche Verlages vor, den sie 1982 erwarben – und nach Hamburg brachten. Zur Ikone wurde unter der Ägide der beiden Verlegerinnen der „Arche Literatur Kalender“, aber auch sonst konnten sie, als der Verlag 2008 an die Ottinger Verlagsgruppe verkauft wurde, auf große Erfolge zurückblicken, Autorinnen und Autoren wie Margaret Forster, Gisela Stelly, Marten `t Hart, Peter Stamm oder Viola Roggenkamp sind bei Arche erschienen. Moderation: Thomas Plaichinger.

Buchhandlung Samtleben und Literaturzentrum im Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, 7.-/4.- Euro.


Lesung

„Songs & Stories“

Der „King“ Rocko Schamoni liest aus seinen gesammelten Werken, neue Texte und trägt zusammen mit Matthias Strzoda einige „seiner größten Hits“ vor.

Fabrik, Barnerstraße 36, 20.00 Uhr, 19.- Euro.


Lesung

Terry Pratchett-Abend

Adelheid Kaessens, Jan Turner, Alexander Josefowicz und Victor Hacker stellen den britischen Fantasy-Schriftsteller Terry Pratchett (1948-2015) vor, der durch seine „Scheibenwelt“-Romane weltbekannt wurde.

Mathilde Bar, Kleine Rainstraße 11, 17.00 bis 20.00 Uhr, 6.- Euro.


Literatur und Musik

„Lyrik trifft Song“

Gerrit Pohl liest Gedichte, musikalisch begleitet von der Singer-Songwriterin Emily´s Escape.

„Südlese“ im Kulturcafé Komm Du. Buxtehuder Str. 13, Harburg, 20.00 Uhr, Eintritt frei (Hutspende).


Poetry Slam

Bunker Slam

In „Hamburgs härtester Arena“, im Bunker an der Feldstraße, stehen Geschichten und Gedichte auf dem Programm, die von einer willkürlich ausgesuchten Publikumsjury gnadenlos bewertet werden – und für den Erstplatzierten ein Siegeszug durch den Saal. Moderation: Michel Abdollahi.

Kampf der Künste im Uebel & Gefährlich, Feldstraße 66, 20.30 Uhr, 8.- Euro.


Poetry Slam

Wortarchitekten – Slam und Autorentreffpunkt

Vokabelwettstreit mit sehr charmantem eigenem Regelwerk, das so geht: 5 Begriffe (die "Fixen Fünf"), die vom Publikum bei der jeweils vorherigen Veranstaltung festgelegt wurden, sind im vorgetragenen Text unterzubringen. Ob Ihr extra für den Slam & die "Fixen Fünf" einen eigenen Text schreibt oder einen von Euren bereits vorhandenen Texten entsprechend modifiziert, spielt keine Rolle. Maximale Vortragslänge: 7 Minuten. Sollte der Text länger sein als 5 Minuten, entscheidet das Publikum ab der 6. Minute mit Hilfe der K.O.-Klingel, ob Ihr bis zum Ende vortragen dürft - oder abbrechen müsst; über den Sieg entscheidet der Applaus. Für die Gewinner gibt es einen Platz in der "Hall of Fame" - und eine Flasche Hausschnaps. Gastgeber sind: Armin Sengbusch & Tine Wittler.

parallelwelt café & bar, Gärtnerstr. 54, 21.000 Uhr.


Literatur in Hamburg