Dienstag 03.05.2016


Lesung mit Mirko Bonnè, Jan Wagner und Richard Pietraß

Über Poesie, Giersch und Gartenarbeit




Er ist gar nicht genug zu rühmen, der Giersch, jedenfalls wenn man über Gedichte spricht, diese Paradedisziplin der deutschen Literatur. Irgendwann kommt das Gespräch gegenwärtig mit einiger Zwangsläufigkeit auf das bei Gärtnern unbeliebte Unkraut, das Jan Wagner in einem Sonett seiner vielgelobten „Regentonnenvariationen“ (2014) als „keusch/ wie ein tyrannentraum“ beschreibt.

Jan Wagner ist im letzten Jahr mit einem Gedichtband gelungen, was in der deutschen Literatur so selten passiert, dass man Jahrzehnte zurückgehen muss, um einen vergleichbaren Erfolg zu finden. Sein Sonett über „Giersch“ wurde landauf und landab zitiert, sogar vom „Pflanzenlust.blog“. Da soll nochmal jemand sagen, in Deutschland würden keine Gedichte gelesen. Tatsächlich ist es eine seltsam treffende Koinzidenz, dass ausgerechnet dieser aggressiv wuchernde Doldenblütler eine so steile Karriere im Garten der Poesie erfährt, wo sich unter all dem laut wucherndem Unkraut doch so selten mal „Dahlien und Ranunkeln“ zeigen, die bei Mirko Bonné dann „aus New Jersey“ sind, aus „Parsippany“ und „Wayne“, wie es in „Abschied vom Empfangskomitee“ heißt, dem großartigen Auftaktgedicht seines zuletzt erschienenen Bandes „Traklpark“. Gedichte sind heute vielleicht so beliebt, wie nie zuvor, sie werden in allen nur denkbaren Variationen geschrieben und vorgetragen, auf Kabarett- und Slambühnen mit nicht weniger Sendungsbewusstsein als im Nachbarschaftsverein oder im Literaturhaus. Die Gräben zwischen den Rabatten der Traditionalisten und der Avantgardisten sind dabei tief, obwohl der Giersch überall wuchert, doch das ist so neu nicht. Schon die Jünger, die sich einst um Stefan George versammelten, ließen kaum etwas gelten, das nicht von ihrem Weihrauch vernebelt war. Der Lyrik der Gegenwart fehlt, was allein den Giersch im Garten im Zaun halten könnte, nämlich die Arbeit des Gärtners. Leider werden Gedichtbände nur selten rezipiert und auch ein Gespräch innerhalb der Lyrik findet kaum und schon gar nicht über die Rabatten hinweg statt. In diesem März könnte man es im Literaturhaus nachholen, vielleicht muss man sich aber auch vom Nutzgarten verabschieden, den „Giersch“ als Wildgemüse genießen und sich mit dem Gedicht „Gartenteich“ trösten, mit dem sich der Gedichtband „Das Liebesleben der Stimmen“ von Hendrik Rost (liest am 29. Mai im Literaturhaus aus seinem neuen Gedichtband) empfiehlt: (…) „So viel Zeit durchgereicht/ nach unten bis zu kleinen/ versumpften Wesen, die/ vergessen selbstvergessen/ lauern, staunen, schlüpfen./ Die daliegen auf den Steinen.“

Unter dem Motto „Irdisches Vergnügen in H.“ treffen sich im Literaturhaus Mirko Bonnè, Jan Wagner und Richard Pietraß um eigene Gedichte und Gedichte ihrer Kollegen Paul Fleming, Barthold Hinrich Brockes und Peter Rühmkorf vorzustellen.

Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, 10.-/16.- Euro





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