Mittwoch, 29.05.2013
Lesung mit Anna Kim
„Anatomie einer Nacht“
Es ist eine seltsame Geschichte, von der die in Wien lebende, junge Autorin Anna Kim in ihrem neuen Roman „Anatomie einer Nacht“ erzählt, und mit der sie derzeit einmal mehr als „bemerkenswerte neue literarische Stimme“ („Augsburger Nachrichten“) gefeiert wird. Kim entführt ihre Leser nach Grönland, in einen fiktiven Ort, verarmt und weitgehend isoliert. Die Handlung setzt um 22.00 Uhr ein und endet zwischen 2.00 und 3.00 Uhr nachts. In den Stunden dazwischen ereignen sich elf Selbstmorde. Wie eine Epidemie breitet sich der Freitod in allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen des Ortes aus, dessen Bewohner sich „durch eine Berührung oder einen Blick infiziert“ zu haben scheinen. Es trifft Sivke Carlsen, eine Aushilfe im Museum, ebenso wie den Polizisten Jens Petersen, die Schüler Magnus und Ole, die Lehrerin Miki Bak und den Traumdeuter Niels Miteq. Oberflächlich betrachtet stehen die Selbstmorde in keinerlei Zusammenhang, mal ist Gewalt der Auslöser, dann unglückliche Liebe, Schuld, Angst. Und doch fragt sich der außenstehende Beobachter: „Ist es nicht ein Trugschluss zu glauben, das Leben eines Einzelnen habe Bedeutung nur für sich betrachtet? Genauso wenig wie der Tod eines Einzelnen Sinn hat, isoliert vom Leben der anderen.“ Tatsächlich verknüpft Anna Kim in ihrem Roman das Individuelle mit dem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld, für sie ist völlig klar, dass „man das Problem nicht bei den Wurzeln packt, wenn man es nicht auch als gesellschaftliches und politisches begreift“. In einer Kritik für „Die ZEIT“ lobte Peter Hamm die „ganz ungewöhnliche Art der Wahrnehmung und die Sprachkraft“ von Anna Kim, kritisierte aber auch manchen sprachlichen „Ausrutscher“. Ganz unumwunden „einen großen Roman“ lobte dagegen Tilman Spreckelsen für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. In jedem Fall lohnt es sich, mal reinzuhören: Anna Kim liest im Literaturhaus aus „Anatomie einer Nacht“. Moderation: Prof. Dr. Klaus Böldl.