Mittwoch, 29.05.2024
Europa 24
Was ist Literatur?
Sasha Marianna Salzmann ist eine der Autor:innen, die im Literaturhaus zu Gast sind, Foto: Heike Huslage-Koch, Wikipedia
Der Vorgang des Schreibens«, erklärt Jean-Paul Sartre in seinem Essay »Was ist Literatur?«, »schließt als dialektisches Korrelativ den Vorgang des Lesens ein.« Erst die »vereinte Anstrengung des Autors und des Lesers«, meinte der französische Philosoph, lässt jenes »konkrete und imaginäre Objekt« entstehen, das wir als Kunstwerk bezeichnen: »Kunst gibt es nur für und durch andere.« Wenn man diese Vorstellung konsequent zu Ende denkt, sind alle, die zu einer Lesung gehen, wenigstens Mitkünstler, denn nur durch sie, die Zuhörenden, entsteht, was ein Kunstwerk als solches qualifiziert.
Was aber, wenn man nach dem Besuch einer Lesung oder der Lektüre eines Romans in nüchterner »Selbstbefragung« mit Robert Gernhardt feststellt: »Ich horche in mich rein. / In mir muss doch was sein. / Ich hör nur ›Gacks‹ und ›Gicks‹. / In mir da ist wohl nix«!? Aus einer derart sinnverneinenden ästhetischen Selbstreferenz im Leerlauf wird man sich mit Sartre kaum einen Reim machen können. Vielleicht aber hilft da eines der Bücher von Dorota Maslowska weiter, die als eine der aufregendsten Stimmen in der polnischen Gegenwartsliteratur gilt. Ihre Literatur lässt niemanden unberührt und wird schon auch mal als »grandiose, harte, dreckige Droge« (SWR2) gefeiert oder als »dröhnendes High-Energy-Erlebnis« (Deutschlandfunk Kultur). Sie ist beim ersten öffentlichen Panel von »Europa 24« zusammen mit der italienischen Schriftstellerin Francesca Melandri und Fiston Mwanza Mujila, dem aktuellen Träger des Preises der Literaturhäuser, zu der Frage zu Gast: Warum schreiben? Nicht weniger spannend ist die Ausgangsfrage des sich daran anschließenden Panels: Für wen schreiben Autor:innen? Nur für sich selbst, für ihre Leser:innen oder vielleicht sogar nur für einen Markt, der eine hohe Nachfrage nach einer Krimiserie bedient? Die Antworten darauf sind vielfältig, und es ist schon spannend zu hören, was eine Schriftstellerin wie Nino Haratischwili dazu zu sagen hat, die das Thema zusammen mit Monica Ali und Alain Mabanckou diskutieren wird. Haratischwili ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, mit einem so umfangreichen wie vielschichtigen Werk. Was treibt sie an? Wie motiviert man sich für so weitläufige Romane wie »Das achte Leben (für Brilka)« oder »Die Katze und der General«?
Am zweiten Abend nimmt »Europa 24« dann stärker die Rolle der Literatur in der Gesellschaft in den Fokus. Wer schreibt? Wie werden Autor:innen in der Öffentlichkeit wahrgenommen? Hat sich die Idee des öffentlichen Intellektuellen überholt? Welche Verantwortung haben Schriftsteller:innen heute in und für die Gesellschaft, in der sie leben? Zu Gast ist mit Sasha Marianna Salzmann wieder eine zentrale Figur der deutschen Gegenwartsliteratur. Die Theaterautor:in, Essayist:in und Dramaturg:in trifft auf den schwedischen Schriftsteller, Übersetzer und Essayisten Aris Fioretos, der in diesem Jahr die Poetikvorlesungen in Frankfurt halten wird, und mit dem slowenischen Schriftsteller Drago Jancar zudem auf einen Schriftsteller, der für sein politisches und kulturelles Engagement international bekannt ist.
Zum Abschluss der öffentlichen Veranstaltungen geht es dann um die Frage, welche Bedeutung die Literatur heute hat. Mit der ungarischen Schriftstellerin Zsófia Bán, der in Wien lebenden ukrainischen Schriftstellerin Tanja Maljartschuk und dem in New York lebenden, niederländischen Autor Arnon Grünberg ist auch dieses Panel hochkarätig besetzt – und wird vermutlich Antworten finden, die sich im besten Sinn als Einladung verstehen, das öffentliche Nachdenken privat fortzusetzen.
Literaturhaus, Schwanenwik 38, vier Panels, ab 19.00 Uhr, Einzelticket € 16,–/12,–, Kombiticket € 30,–/22,–
literatur altonale
»Reminiszenzen in drei Akten«
Ingeborg Bachmann ist eine der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Kaum eine Autorin schaffte es, mit ihrem Werk so sehr die gegenwärtige Literatur mitzuprägen. Nicht umsonst ist einer der größten Literaturpreise nach ihr benannt. Ihr Stil war sperrig und orakelhaft, ihr Leben tragisch und traurig.
Es wundert also nicht, dass 2023 ein Kinofilm zu ihrem Leben erscheint und viele ihrer Werke stetig neu aufgelegt werden. Nail Dogan präsentiert zur literatur altonale einen Abend über Ingeborg Bachmann.
Moderation: Nefeli Kavouras
literatur altonale in der Hebebühne, Barnerstr. 30, 20.00 Uhr, Eintritt: Zahle, so viel du willst
Leben und Lesen - aktuelle Positionen im Hamburger Kulturbetrieb
Werkstattgespräch mit Line Hoven
Die Illustratorin und Autorin Line Hoven ist in der Buchhandlung Blattgold zu Gast und wird einigen großen Fragen auf den Grund gehen: Kommt Kunst von Können? Woher kommt die eigene Kreativität? Wie lässt sich mit Kulturarbeit Geld verdienen?Buchhandlung Blattgold, Wexstraße 28, 19.30 Uhr, € 9,–
Lesung und Gespräch mit Bernhard Schlink
»AltersBilder«
Bernhard Schlink, Foto: Gaby Gerster, Diogenes Verlag
Weltweite Berühmtheit erlangte Bernhard Schlink vor allem mit seinem Buch »Der Vorleser«, das in insgesamt 50 Sprachen übersetzt und mit Kate Winslet verfilmt wurde. Es folgten zahlreiche weitere Bestseller, darunter »Olga«, »Die Frau auf der Treppe« und »Die Enkelin«. Zuletzt erschien »Spätes Leben«, ein Roman über Alter, Tod und Abschied. Im Zentrum seines Schaffens stehen dabei seit jeher Fragen von Gerechtigkeit und Schuld, mit denen er sich nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie auseinandersetzte.
Im Gespräch mit Andreas Bormann erzählt Bernhard Schlink von seiner Passion als Schriftsteller, von seinem Leben zwischen Deutschland und den USA und seinem Blick auf die Herausforderungen für unsere Demokratie.
KörberForum, Kehrwieder 12, 19.00 Uhr, Eintritt frei, Anmeldung bis 15.05. auf koerber-stiftung.de
Aktuelle Buchempfehlungen
Caroline Wahls Roman »Windstärke 17«
Das ausrastende Herz
Caroline Wahl, Foto: Frederike Wetzels
Dana von Suffrins Roman »Nochmal von vorne«
Die Struktur verstehen
Dana von Suffrin, Foto: Tara Wolff
Laura Lichtblaus Roman »Sund«
Eine »frohe Unruhe«, die immer da ist
Laura Lichtblau, Foto: Max Zerrahn
Dana Grigorceas neuer Roman »Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen«
Man hört ihn fliegen
Dana Grigorcea, Foto: Mardiana Sani
Es geht um eine weitreichende Frage, die glücklicherweise von einem konkreten Gegenstand aufgeworfen wird, einer golden schimmernden Bronze, hoch aufschießend, mit einem lang gestreckten, geschwungenen Korpus. »Vogel im Raum« nennt der Bildhauer Constantin Brâncusi die 1926 entstandene Skulptur. In einem Gerichtsverfahren »Brâncusi vs. USA« wird 1927 verhandelt, ob es sich hier um einen Kunst- oder einen Gebrauchsgegenstand handelt. In ihrem neuen Roman »Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen« erzählt Dana Grigorcea von dem Prozess, der Rechts- und Kunstgeschichte schrieb und verknüpft Episoden aus dem Leben des Bildhauers im New York der 20er Jahre mit der Geschichte einer Schriftstellerin in der Gegenwart.
Deniz Ohdes neuer Roman »Ich stelle mich schlafend«
Von einem alten Geist berührt
Deniz Ohde, Foto: Börge Meyn, Suhrkamp Verlag
Gerbrand Bakkers Roman »Der Sohn des Friseurs«
Der Friseur, sein Vater, sein Liebhaber und ihr Salon
Gerbrand Bakker, Foto: Gerbrand Bakker/A Quattro Mani/Suhrkamp Verlag
Ronya Othmanns Buch »Vierundsiebzig«
Ferman 74
Deniz Ohde, Foto: Börge Meyn, Suhrkamp Verlag
Barbara Kingsolvers Roman »David Copperhead«
Der Dämon der Appalchen
Barbara Kingsover, Foto: Evan Kafka
Nicole Seiferts Buch »Einige Herren sagten etwas dazu«
Vorgelesen, gerupft worden und fallen gelassen
Nicole Seifert, Foto: Katja Scholtz
John Nivens Memoir über seinen Bruder
»O Brother«
John Niven, Foto: Erik Weiss
Iris Wolffs neuer Roman »Lichtungen«
Countdown einer Liebe
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Uwe Timms Lebensbuch »Alle meine Geister«
Die Kunst des Auslassens
Uwe Timm, Foto: Lena Ternovaja
Anja Marschals historischer Roman »Als der Sturm kam«
»Als der Sturm kam«
Anja Marschall, Foto: Frauke Ibs
Martin Doerrys deutsch-jüdische Familiengeschichte
»Lillis Tochter«
Martin Doerry, Foto: privat
Alice Hasters neues Buch »Identitätskrise«
Plädoyer für eine neues Wir
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Erika Freeman und Dirk Stermann
»Zweifeln immer, verzweifeln nimmer«
Dirk Stermann und Erika Freeman, Foto: Ingo Pertramer
Florian Illies Buch über Caspar David Friedrich
Sehnuschtsmond im Nebelland
Caspar David Friedrich: Winterlandschaft, 1811, Foto: Staatliches Museum Schwerin
Jasmin Schreibers Roman »Endling«
Die letzte ihrer Art
Jasmin Schreiber, Foto: privat
Jarka Kubsovas Roman »Marschlande«
Eine Alte Geschichte in neuem Licht
Jarka Kubsova, Foto: Christoph Niemann
Mirko Bonnés neuer Roman
Wenn die Tage plötzlich wieder zählen
Mirko Bonné, Foto: Beowulf Sheehan
Jeannette Walls Roman »Vom Himmel die Sterne«
Die Rum-running Queen von Claiborne County
Jeannette Walls, Foto: John Taylor
Louise Kennedys Roman »Übertretung«
Gegen jede Vernunft
Louise Kennedy, Foto: privat
Helge Timmerbergs »Joint Adventure«
Auf Drogentrip mit Helge
Helge Timmerberg, Foto: Frank Taurit
Rachel Yoders Roman »Nightbitch«
Ein ganz anderer Mensch
Rachel Yoder, Foto: Nathan Biehl
Terézia Moras neuer Roman
»Muna oder Die Hälfte des Lebens«
Terézia Mora , Foto: Antje Berghäuser
Tanja Schwarz´ neuer Roman »Vaters Stimme«
Ein Basso continuo für das schwankende Selbst
Tanja Schwarz, Foto: Rebecca Hoppé
Johanna Sebauers Romandebüt »Nincshof«
Der Königsweg in die Freiheit
Johanna Sebauer, Foto: Birte Filmer
Robert Seethalers Roman »Das Café ohne Namen«
Ein Platzerl im Leben
Robert Seethaler, Foto: Urban Zintelr
Marica Bodrožics »Die Arbeit der Vögel«
Das größere Gedächtnis
Marica Bodrožic, Foto: Peter von Felbert
Ella Carina Werners Erzählband »Man kann auch ohne Kinder keine Karriere machen«
So super, diese Frau Werner
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T.C. Boyles »Blue Skies«
Der Countdown läuft
T.C. Boyle, Foto: Jamieson Fry
Helga Schuberts »Der heutige Tag«
Die weiten blauen Fernen
Helga Schubert, Foto: Renate von Mangold
Clemens Setz neuer Roman »Monde vor der Landung«
Den »Windmühlen-Vorteil« nutzen
Clemens Setz, Foto: Max Zerrahn
Der neue Roman von A.L. Kennedy
»Als lebten wir in einem barmherzigen Land«
A.L. Kennedy, Foto: Robin Niedojadlo
Kim de l’Horizons »Blutbuch«
Ein Zuhause in der Sprache finden
Kim de l´Horizon, Foto: Anne Morgenstern
Die 18. Ausgabe des Hamburger Literaturjahrbuchs ZIEGEL
Ein Hingucker in Pink
So leuchtend hat sich das Hamburger Literaturjahrbuch ZIEGEL bisher noch nie gezeigt. Die 18. Ausgabe der beliebten Anthologie ist jedoch nicht nur ein Hingucker in Pink, sondern präsentiert auch ein vielschichtiges Best-of mit Erzählungen, Gedichten, Auszügen aus Romanen, Theaterstücken und Comics aus der Hamburger Literatur der letzten zwei Jahre. »Es ist zwar ein schweres Buch«, schwärmte das NDR Hamburg Journal, »aber es liest sich federleicht«.